Projektvorhaben: Willkommen im Kiez

Umsetzung: Jugendcafé LAIV – LebensWelt Berlin

„Willkommen im Kiez“ ist ein Projekt, das Flüchtlingen, die derzeit in der Scharnweberstraße 24 in Berlin-Reinickendorf wohnen, Kontakt mit den Menschen in ihrer Umgebung ermöglichen und neue Perspektiven eröffnen soll.

Worum geht es?
Die BewohnerInnen der Scharnweberstraße 24 kommen aus Kriegsgebieten oder Ländern mit kriegs- bzw. bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder sie werden – aus unterschiedlichen Gründen – in ihren Heimatländern verfolgt und/oder bedroht. Die Problemlagen der BewohnerInnen sind oftmals vielschichtig. Viele haben psychische Probleme, sind traumatisiert, verunsichert, eingeschüchtert. Vieles ist für diese Menschen hier neu, unbekannt – fremd. Hinzu kommt eine negative Stimmung, die ihnen aus Teilen der Gesellschaft entgegen gebracht wird. Manche trauen sich deshalb kaum nach draußen und „hängen“ ihre Zeit im Heim ab. Oder sie kennen nur öffentliche Räume wie den nahe gelegenen Kurt-Schumacher-Platz und dessen Einkaufszentren. Der AVA-Kiez im Ganzen ist ihnen fremd.

An dieser Stelle möchte „Willkommen im Kiez“ ansetzen: Die BewohnerInnen der Scharnweberstraße 24 sollen Unterstützung bekommen, um Hemmschwellen zu überwinden, Möglichkeiten der (sinnvollen) Freizeitgestaltung kennenzulernen und Ablenkung von ihren Alltagssorgen zu erfahren. Über Kontakte zu anderen Treffpunkten, zu anderen Menschen und Besuche der verschiedenen Einrichtungen und Vereine im AVA-Kiez soll dies ermöglicht werden. Dazu sollen die BewohnerInnen des Flüchtlingsheimes von vertrauensvollen und qualifizierten MitarbeiterInnen abgeholt und in den Sozialraum und dessen Einrichtungen begleitet werden. Der erste begleitete Ausflug der Flüchtlinge in den AVA-Kiez soll von einem kleinen Willkommensfest unter dem Motto „Willkommen im Kiez“ im Jugendcafé LAIV mit Essen, Getränken, T-Shirt-Gestaltung, Holzbrandmalerei und Sandmalerei gekrönt werden. Das LAIV – als Vertreter des AVA-Kiezes – möchte seine neuen MitbürgerInnen willkommen heißen!

Projektverwirklichung:

Vorlauf
Im Vorfeld fanden Gespräche mit der Leitung des Flüchtlingsheims statt. Es wurden gemeinsame Ideen entwickelt und ein grobes Programm entworfen. Und es wurde darauf gewartet, dass der vorläufige Bewilligungsbescheid eintrifft. Dieser kam erst am 27. Oktober 2015. Danach wurde der frühstmögliche Termin für eine Vorstellung des Projektes im Flüchtlingsheim vereinbart und ein Flyer erstellt. Dieser wurde vor dem offiziellen Vorstellungstermin im Flüchtlingsheim verteilt.

Projektvorstellung im Ladenlokal der Flüchtlingsunterkunft
Der eigentliche Start des Projekts „Willkommen im Kiez“ fand am 5. November 2015 statt – bei einem ersten Vorstellungs- und Kennlerntermin im Ladenlokal des Flüchtlingswohnheims in der Scharnweberstraße 24. Dort stellten die beiden Honorarkräfte, die das Projekt durchführten, den Interessierten das Projekt gemäß des Antrags vor und suchten das Gespräch zu ihnen, um von ihnen weitere Anregungen bzgl. ihrer Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren. Dabei hat sich gezeigt, dass bei den Erwachsenen bürokratische Fragen im Vordergrund standen, wohingegen die Kinder einen sehr großen Bedarf nach jeglichen Angeboten zeigten. Fast 70 Personen waren an diesem Nachmittag anwesend.

Jugendcafé LAIV

Schon zum offiziellen Willkommensfest im Jugendcafé LAIV haben sich weitaus mehr TeilnehmerInnen, als ursprünglich erwartet, eingefunden. Auch die Folgetermine, die in dieser Einrichtung stattfanden, waren sehr gut besucht. Es gab verschiedene Angebote speziell für Kinder, wie z.B. mit der Airbrush-Technik ein eigenes T-Shirt gestalten, in der Holzbrandmalerei eigene Bilder kreieren oder gemeinsame Gesellschaftsspiele spielen. Besondere Resonanz hat das „Jahresabschlussfest“ ausgelöst, zu dem sich zahlreiche Familien (insgesamt mehr als 60 Personen) angemeldet hatten.

 

Familiencafé
Insbesondere das sonntags stattfindende Familiencafé, das durch seinen relativ offenen Rahmen für alle Bedürfnisse Platz bietet, wurde sehr gut angenommen. Es richtet sich gleichermaßen an Kinder und Erwachsene, weshalb es besonders guten Zuspruch fand. Die TeilnehmerInnen konnten hier auf zahlreichen Wegen ihre Zeit (miteinander) verbringen. Ob beim Kochen, Billard/Tischfußball spielen oder gemütlichen Zusammensitzen zu einer Tasse Kaffee. Dabei ist es gelungen, dass die TeilnehmerInnen auch mit den übrigen BesucherInnen des Familiencafés in Kontakt kamen und sich erste Annäherungen entwickelt haben.

Familienpunkt
Auch zum Familienpunkt waren mehr als 40 Personen mitgekommen. Die MitarbeiterInnen dort konnten den Termin nutzen, um die Einrichtung vorzustellen und die TeilnehmerInnen kennenzulernen. Während die Eltern gemeinschaftlich gekocht haben, konnten die Kinder an diversen Spiel- und Bewegungsangeboten teilnehmen. Leider konnte wegen eines Krankheitsfalles und vorweihnachtlicher Terminknappheit kein weiterer Termin im Familienpunkt stattfinden.

Stadtteilbibliothek Reinickendorf
Am 4. Dezember 2015 wurde die Stadtteilbibliothek besucht, um diese den Kindern vorzustellen und ein kostenfreies, regelmäßig stattfindendes Kinder- und Jugendkino zu besuchen. Dieses Angebot ist bei den Kindern und Jugendlichen auf sehr reges Interesse gestoßen, so dass es möglich war, darüber weitere BewohnerInnen des Flüchtlingswohnheims für unser Projekt zu gewinnen. Es wurden auch Wünsche nach Bibliotheksausweisen bekundet.

Interkultureller Mädchentreff
Ingesamt zwei Termine im Interkulturellen Mädchentreff konnten realisiert werden. Die Gruppe der TeilnehmerInnen war aufgrund der Zielgruppe etwas kleiner als sonst. Hier hatten die Mädchen die Möglichkeit, beim Tanzen, Fahrrad fahren oder Spielen andere Mädchen kennenzulernen. Obwohl das Interesse der Mädchen groß war, konnten in der Kürze der Zeit keine weiteren Termine verabredet werden. Das fanden die Mädchen sehr schade. – Parallel gab es für Interessierte, die nicht den Interkulturellen Mädchentreff besuchen konnten, die Möglichkeit, ins Jugendcafé LAIV zu gehen.

Auswertung und Perspektiven
Zunächst ist festzuhalten, dass die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Einrichtungen sehr gut war. Ebenso die Kooperation mit der Leitung und den Fachkräften des Flüchtlingsheims in der Scharnweberstraße 24.
Insgesamt nahmen 588 Personen an den einzelnen Aktionen teil – davon 395 Kinder und Jugendliche. Meist waren es jedoch die selben TeilnehmerInnen, die in die Einrichtungen mitkamen.
Die Geflüchteten kamen hauptsächlich aus dem Irak, Syrien, Afghanistan, aber auch aus südosteuropäischen Ländern.
Zum Projekt ist abschließend klar zu sagen, dass es innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums angesiedelt war. In gerade einmal sechs Wochen etablierten sich die Angebote zügig in den doch meist tristen Alltag der geflüchteten Menschen und stellten für sie eine gewisse Konstante dar. Viele haben vor den Terminen oft schon voller Freude vor dem Wohnheim gewartet und diese fest in ihre Wochenplanung integriert, so dass sogar andere Verabredungen abgesagt wurden, um an den Angeboten teilnehmen zu können. Das zeigt sich auch an den Zahlen der TeilnehmerInnen: Es waren nie weniger als 25, häufig sogar etwa 40 und in einigen Fällen sogar über 60 Personen. Allerdings hat das rasche Projektende die beginnende Kontinuität wieder aufgelöst.
Probleme mit Arbeitslosigkeit, Schulplatz- und Wohnungssuche oder den Behörden konnten zwar angegangen, aber in keiner Weise zufriedenstellend behoben werden. Hier hat es schlichtweg an Zeit gefehlt.
Auch Deutschkenntnisse konnten durch die gemeinsame Zeit, z.B. beim Kochen, verbessert werden. Im Vergleich zu einem Deutschkurs, in dem nicht selten viel mehr Leistungsdruck und Angst vor Blamage bestehen, verloren die TeilnehmerInnen hier in lockerer und entspannter Stimmung mehr und mehr die Hemmungen, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Jedoch bedarf es der deutschen Sprache, insbesondere bei Erwachsenen, noch sehr viel mehr Zuwendung.

Zu Beginn des Projekts konnten Anfeindungen der TeilnehmerInnen untereinander bemerkt werden, die in erster Linie mit den unterschiedlichen Religionen, Kulturen, und/oder Wertevorstellungen einher gingen. Durch die gemeinsamen Aktivitäten, die ihnen geboten wurden, konnten diese weitgehend reduziert werden: Erste Annäherungen, die die Kinder untereinander hatten, übertrugen sich langsam auch auf die Eltern, so dass sich kurze Gespräche ergaben. Die ersten Vorurteile konnten abgebaut werden. Ziel sollte es sein, dass sich daraus Bekanntschaften, gar Freundschaften entwickeln (können), die eine produktive Freizeitgestaltung und ein Erkunden des Sozialraums über die Grenzen des Projekts hinaus ermöglichen. Denn Willkommen sein, heißt auch Freunde finden, sich ein Netzwerk aufbauen und auf Ressourcen zurückgreifen. Kurz: Empowerment.

Seit dem letzten Termin des Projekts im Dezember 2015 ist keiner der TeilnehmerInnen mehr von allein ins Jugendcafé LAIV bzw. ins Familiencafé gekommen. Auch die anderen besuchten Einrichtungen gaben dieses Feedback. Da die Veranstaltungen während des Projekts jedoch sehr gut besucht waren, ist zu schlussfolgern, dass dieser Zustand der nun fehlenden Begleitung bzw. Abholung geschuldet ist. Die Hemmschwelle der BewohnerInnen des Flüchtlingswohnheims ist offenbar noch zu groß. Es bedarf weiterer Unterstützung, damit die Geflüchteten die Angebote im Kiez wahrnehmen und sich in die Gesellschaft integrieren und integriert fühlen. Konnten auch über ein erstes Kennenlernen hinaus noch keine Freundschaften zwischen den BewohnerInnen der Scharnweberstraße 24 und den AnwohnerInnen des Kiezes geschlossen werden, so muss man doch positiv bemerken, dass sich im Verlauf des Projekts eine gewisse Gruppendynamik entwickeln konnte. So sind verschiedene Gruppen von Kindern und Erwachsenen entstanden, die gemeinsam an Angeboten teilgenommen und sich gegenseitig an Termine erinnert haben. Hier war es also möglich, verschiedene Multiplikatoren zu erreichen, die, je nach Angebot, auch Menschen auf das Projekt aufmerksam machen konnten, die ansonsten (über Flyer u.ä.) nicht hätten erreicht werden können. Diese Personen haben geholfen, eher zurückhaltende potentielle TeilnehmerInnen zu motivieren und die Hemmschwelle zu reduzieren, die verhindert, das Geflüchtete auch außerhalb des behördlich vorgegebenen Rahmens aktiv werden.

Die TeilnehmerInnen haben sich mehrfach nach weiteren Angeboten erkundigt. Insbesondere sportliche Aktivitäten sind sehr beliebt, konnten jedoch aus Zeitmangel nicht realisiert werden. Da Sportvereine oft hohe Mitgliedsbeiträge fordern, sind diese für die AnwohnerInnen der Scharnweberstr. 24 kaum bis gar nicht zugänglich. Durch Einrichtungen, wie das Jugendcafé LAIV, können Beitrittswünsche gebündelt und ggf. Rabatte ausgehandelt werden. Ein Gespräch mit dem Fußballverein Liberta, nahe dem Flüchtlingsheim gelegen, gab es bereits. Ein Entgegenkommen seitens des Vereins wurde vage bekundet.

Das Projekt war von der Idee her gut. Es fehlte jedoch – nicht nur aber auch – an nötiger Zeit, um Beziehungen aufbauen und somit die Hemmschwelle für die BewohnerInnen der Scharnweberstraße 24 senken zu können. Es wurde zudem unterschätzt, dass viele der TeilnehmerInnen traumatisiert und ängstlich sind. Letzteres wurde von einzelnen TeilnehmerInnen bestätigt.

Wichtig erscheint, dass das Projekt jetzt nicht einfach zu Ende geht, sondern über einen längeren Zeitraum fortgesetzt wird. Unter anderem auch, um den BewohnerInnen der Scharnweberstraße 24 weitere Vereine und Einrichtungen der Umgebung zu zeigen und neue Kontakte aufzubauen. Außerdem sollten die vorsichtigen Kontakte, die bisher geknüpft wurden, nicht wieder in Vergessenheit geraten. Deshalb wäre eine Intensivierung der schon vorhandenen Kenntnisse um bestimmte Einrichtungen und deren Möglichkeiten notwendig. Denn aus Kontakten, die sich durch häufige Besuche von Einrichtungen ergeben, können sich Vertrautheiten und Freundschaften entwickeln, die eine Integration der Schutzsuchenden erleichtern.

Der erste Schritt ist nun gemacht. Jetzt müssen weitere Schritte unternommen werden, um tatsächlich erfolgreich zu sein!

(Zusammenfassung: H. Krowinn, Jugendcafé LAIV)

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